Lübeck. Welcher europäische Beitrag – wenn nicht Puccinis “Turandot” – passt so perfekt zum diesjährigen Länderschwerpunkt China? In Lübeck wurde das Werk konzertant aufgeführt. Ein hervorragend aufgelegter Festival-Chor und Star-Be setzung bei den Solisten gestalteten den Freitagabend zum Hochgenuss.
“Turandot”, 1926 an der Mailänder Scala uraufgeführt, erzählt eine seltsame Geschichte. Die Titelfigur, eine stolze und grausame chinesische Prinzessin, lässt jeden Heiratsanwärter töten, der die drei Rätsel, die sie ihm aufgibt, nicht zu lösen vermag. Selbst die Hofschranzen beklagen, dass sie seit Jahren nur noch Hinrichtungen zu organisieren haben. Es ist ein Märchenstoff, zu dem es natürlich gehört, dass einem unbekannten Prinzen doch das Unmögliche gelingt; aber zur Ehe zwingen will er die stolze Turandot nicht.
Es war pure Verzauberung, die das Publikum in der Lübecker Musik- und Kongress halle erlebte. Allein der Aufmarsch der NDR-Radiophilharmonie und des Schleswig-Holstein Festival-Chores schürte die Erwartungen: Der wollte des reichhaltigen Personals wegen schier kein Ende nehmen, eine Gruppe der Blechbläser bezog im Rang über der Bühne Position. Der Chor dokumentierte gleich mit den ersten Tönen seine Stimmgewalt. Und die Solisten entführten die Zuhörer schließlich vollends in eine höhere Dimension der Tonkunst. In der Titelrolle war mit der US-Amerikanerin Jennifer Wilson eine überragende Turandot zu hören. Kein Wunder, ist sie doch in dieser Rolle, mit der sie 2002 debütierte, regelrecht zu Hause. Und so erfüllte sie die eiskalte Prinzessin auch in Lübeck mit Leib, Seele und ihrem dramatischen Sopran, ja, steckte so tief in dieser Rolle, dass sie Zorn und Verzweiflung mit Mimik und Gestik unterstrich. Die zweite Sopranistin, die gebürtige Polin Iwona Sobotka, bestach in der Rolle der Sklavin Liù mit ihrer warmen, beweglichen Stimme, die im dritten Akt als Sterbende Zuhörer zu Tränen rührte. Jedem war klar: Was da zelebriert wird, ist einer der seltenen Genüsse.
Schlechte Vorzeichen für die Aufführung
Dabei schien die Aufführung noch zwei Tage vorher unter einem schlechten Stern zu stehen: Die chinesische Dirigentin Zhang Xian hatte ebenso absagen müssen, wie der Tenor Alfred Kim, der für den Part des Prinzen Calaf vorgesehen war. Am Pult stand nun die Kanadierin
Keri-Lynn Wilson und für den Prinzen stand der Italiener Marco Berti bereit. Zu spüren waren die kurzfristigen Umbesetzungen bestenfalls in der milde erstarrten Haltung Bertis. Ansonsten dominierte ein Miteinander, eine gemeinsame Freude an der Musik, die schon lange vor der Pause ins Publikum übergeschwappt war. Keri-Lynn Wilson leitete das Bühnenpersonal sicher durch die Klippen des Musikdramas, sorgte insbesondere dafür, dass die Sänger nicht im Orchester ertranken. Und es war eine Freude, die zarte Dirigentin zu beobachten, wie sie “ihre” Oper weit ausholend mitteilte – beinahe ein Tanz, den sie da zeigte.
“Turandot”, das ist vor allem Calafs “Nessum dorma” (“Keiner schlafe”), und natürlich wartete auch in Lübeck alles auf die Arie, die selbst bei Opern-Ignoranten zum Ohrwurm mutiert (und mitunter verkommt). Marco Berti meisterte die Arie grandios: hochsensibel und gänzlich ohne zuckrige Schnörkel. Am Ende zeigte sich das Publikum entfesselt vor Begeisterung – Freude über einen Hochgenuss eben.
Wenn Puccinis Musik zu Tränen rührt